des pudels kern oder ein teil von jener kraft,
die stets das böse will und stets das gute schafft
vortrag gehalten am kulturmanagementforum (KMF)
in einer veranstaltung im theater rigiblick am 18. märz 2008
als ich noch klein war, will sagen, meine ersten inszenierungen in wien zu beginn der 60er jahren herausbrachte, war der begriff sponsor, sofern es ihn überhaupt schon gab, und was von so einem zu erwarten wäre, noch gar nicht auf der traktandenliste für die ökonomische hochrechnung künstlerischer produktionen aufgeführt. wenn geld zu erwarten war, dann ausschliesslich von der öffentlichen hand (und das war im bereich der alternativen künste, wozu damals die vielen kellertheater einen entscheidenden beitrag leisteten, doch recht wenig). kam einmal geld von privater seite (ich erinnere mich kaum daran) oder von bereichen aus der wirtschaft (das wurde eher über ein inserat im programmblatt abgewickelt und stellte eine art druckkostenbeitrag dar), dann verstanden wir das als spende. die kontrolle, ob das, was wir machten dem entsprach, was wir uns vorgenommen hatten, lag ganz allein bei uns. es gab gar niemanden, der dazu stellung bezogen hätte, ausser der presse - und dem publikum natürlich, das durch fernbleiben oder erfreulich zahlreiches erscheinen eine art votum abgab. immerhin aber sprach ein gremium in der stadtverwaltung von zeit zu zeit einer der zahlreichen inszenierung einen aufmunterungspreis zu, der zusammen mit den eintrittsgeldern minus die kosten für bühnenbild und technik geteilt durch die anzahl der mitwirkenden unsere gage darstellte: wenn ich mich richtig erinnere, waren das im besten fall 1"000,- schilling (das entsprach etwa 125,- schweizerfranken zu jener zeit) für mehr als zwei monate vorbereitungen, proben und aufführungen.

als ich noch jung war, will sagen, in der schweiz gegen ende der 60ger jahre meine ersten erfahrungen in der zürcher theaterlandschaft machte, lernte ich dann tatsächlich einen mäzen kennen (und profitierte als schauspieler davon!), der das theater an der winkelwiese aus den einkünften seiner tätigkeit als architekt unterhielt. die öffentliche hand schaute jahrelang misstrauisch zu und unterstützte dann das künstlerisch bedeutende unternehmen mit einem einmaligen beitrag von sfr. 5"000,-. (damit die pointe etwas weniger krass wirkt, sei angemerkt, dass sich das natürlich inzwischen völlig geändert hat – aber was für ein weg und was für ein kraftakt bis es soweit war!) das kontrollforum zwischen der künstlerin und dem mäzen war die heftige diskussion, um nicht zu sagen der krach zwischen den beiden, wenn es zum beispiel darum ging, einen stuhl, der nicht design-konform mit dem bühnenbild war, von der bühne zu verbannen.

als ich dann schon reifer geworden war, will sagen, in den 70er jahren innerhalb der aargauischen kleintheater für die ‚innerstadtbühne aarau’ als regisseur, schauspieler und mitorganisator arbeitete, hatten wir uns ein auch vom rechtsträger genehmigtes organisatorisches und künstlerisches statut gegeben, das im prizip alle verantwortung der theatergruppe überantwortete. die jeweils fälligen entscheide wurden in den ensemble-vollversammlungen in langen diskussionen ausgetragenen und schlossen den einspruch der geldgeber völlig aus – bis der bürgermeister der stadt aus politischer angst vor dem angeblich so subversiven betrieb (wir befanden uns schliesslich auch in der schweiz im kalten krieg) die subventionen strich. das waren dann schon immerhin 100"000,- franken pro jahr; bei 6 festangestellten und dazu immer wieder einigen gästen können sie die höhe der gagen selbst nachrechnen, jedenfall bis zum zeitpunkt unserer entlassung.

als ich erwachsen geworden war, will sagen, die direktion des theaters am neumarkt in den 80er jahren übernommen hatte, lernte ich dann das funktionieren eines ausgewachsenen verwaltungsrats kennen. es war eine herrliche zusammenarbeit, bei der es uns richtig spass machte, die ‚gewinne’ (ich hoffe, sie hören die anführungszeichen deutlich mit) als so minim auszuweisen, dass niemand auf die idee gekommen wäre, wir hätten ohnehin genug geld. es sei verraten, dass es um ein jahresbudget von knapp 3 mio franken ging. bei inhaltlichen auseinandersetzungen konnte es durchaus passieren, dass ein echt liberales mitglied des ausschusses unsere politischen sonntagsmatinéen, die praktisch nur ausgaben verursachten, gegenüber kritikern mit dem satz verteidigte, wir seien schliesslich kein alle und alles berücksichtigen müssendes monopolunternehmen und dürften, ja müssten einen entschiedenen parteiischen standpunkt einnehmen. dass dann einmal das theater dennoch über meinen kopf hinweg polizeilich von einer gruppe eingedrungener politischer aktivisten geräumt und für einige tage geschlossen wurde, mag oberflächlich als ein geglückter druck des stadtrates auf den verwaltungsratspräsidenten deuten, aber eigentlich war das wirkliche politikum viel hinterhältiger: die zunft wollte wie jedes jahr in ruhe ihr rechenmahl am angestammten ort verspeisen und so zeigte sich auf diese weise recht deutlich, wie die kanäle der machtausübung tatsächlich funktionieren.

eine so erhellende geschichte habe ich im reifen alter, will sagen, aus meiner schauspieldirektionszeit im theater st.gallen nicht zu melden – es sei denn ich merke an, dass mein etwas überhasteter einstieg dort einem eclat zwischen dem verwaltungsrat und meinem vorgänger zu verdanken war, der nach nur einem jahr tätigkeit buchstäblich über nacht seiner funktionen enthoben worden war. ich habe überraschenderweise dann nie eine interessantere, durchaus sachkundige, neugierigere und achtungsvollere haltung bei verwaltungsratsmitgliedern und politikerInnen erlebt. vielleicht kommt das daher, dass in dieser stadt am längsten in der kulturgeschichte der schweiz ein festes theater exisitiert und darüber eine solide selbstverständlichkeit herrscht, dass 33 mio franken ein richtig gut angelegtes gesellschaftliches kapital ist. man mag die fehlenden öffentlichen konflikte damit erklären dass, je nach standpunkt, wir für ein ehemaliges stadttheater einen erstaunlich innovativen und dennoch attraktiven kurs fuhren, oder aber: dass wir vorsichtig genug waren, die riskanten anteile am spielplan klug auf gleise zu setzen, wo sich der unmut darüber oder die kritik daran in gut ertragbaren grenzen austoben konnte.

jetzt, wo ich alt bin, will sagen, so alt wie ich mich fühle, und ich mich wieder wie zu beginn meiner theaterarbeit vorwiegend in der sogenannten freien szene bewege, bemerke ich, dass ohnehin alles ganz anders geworden ist. man darf sagen, dass sich überall alles in richtung optimierung, perfektionierung, globalisierung (oder sagen wir wenigstens: europäisierung) entwickelt hat – gerade dieser anlass führt das in beispielhafter form vor. das geld sprudelt aus vielen kanälen, es gibt kulturdirektoren, kulturbeauftragte, stiftungen, sponsoren, mäzene, kulturmanager und das alles auch in weiblicher gestalt. wir leben fast in einem kulturellen paradies. ich schaue mir die überaus zahlreichen einladungen zu den unterschiedlichsten anlässen an und staune jeweils über die bunte fülle jener, allerdings oft wiederkehrender, namen, die als partner, hauptsponsor, sponsoren, stifter, medienpartner usw. genannt werden oder verdankt werden müssen.

ich hoffe, ich konnte ihnen über die stationen meiner ganz persönlichen erfahrungen einige paradigmatische situationen vorführen, in die sie als kulturmanagerInnen auch geraten könnten – und gleichzeitig wollte ich ihnen eine ahnung vermitteln, wie die so sehr personengebundenen und durchaus zeitbedingten konflikte jeweils taktisch geschickt oder tollpatschig, weil überrumpelt von den ereignissen, zu unterschiedlich glücklichen lösungen geführt haben. wir haben es eben in allen fällen vor allem mit einzelnen menschen zu tun: so wie die grossen künstler nicht unbedingt menschliche grösse zeigen, so entscheiden politiker nicht immer ohne rücksichtnahme auf ihre parteilinie oder die wahlen. und die kulturmanagerInnen zeigen sich auch nicht stets standhaft gefeit gegen den glamour gesellschaftlicher bedeutung und die niederungen des opportunismus.

wir alle sind eingebettet in ein politisches umfeld, das, aus welchen gründen auch immer, mehr oder weniger kulturfreundlich resp. verdeckt oder offensichtlich kunstfeindlich gesinnt ist und sich dementsprechend auswirkt: durch die förderung von talenten, die vergabe von produktionsmitteln, die feier von aussergewöhnlichem durch trophäen, preise etc., oder eben durch die ablehnung von allem, was nicht einem mehr oder weniger festgeschriebenen, man müsste wohl eher sagen: einem dumpf empfundenen, werte-system entspricht. vielleicht ist der vergleich etwas unscharf, wenn ich die demokratische praxis der gewaltenteilung auf den überschaubareren teil der kulturausübung und kulturpflege übertrage. aber ich hoffe, er erlaubt besser nachvollziehbar zu machen, was wir alle innerhalb des reichen geflechts an aufgaben und interessen im kulturbereich für positionen einzunehmen haben.

den politisch verantwortlichen (die im besten fall über ein kulturgesetz, meist eher über ein mehr oder weniger konstruktives kulturleitbild verfügt) stehen die kulturtäter gegenüber, denen ihre tätigkeit durch eine mehr oder minder klare aufgabenstellung (spiele oper, zeige bildende kunst, sei kreativ) vorgezeichnet ist. im allgemeinen wird dabei davon ausgegangen, dass den ausübenden künstlern freiheiten zu gewähren sind. und um das intendierte ziel trotz dieser eingeräumten freiräume nicht zu verfehlen werden manager eingesetzt: organisatorische und/oder kaufmännische leiter auf der operativen ebene, verwaltungsräte oder vergleichbares im sinne eines gremiums zur generellen kontrolle und gegebenfalls zur abwägung von sach- und interessenskollisionen.

wenn man diese sachverhalte so allgemeine darstellt, gibt es kaum widerspruch. aber es scheint mir nötig und fruchtbar auf etwas grundsätzlicheres hinzuweisen: es gibt kein prinzipielles einverständnis zwischen künstlerInnen und ihren partnerInnen auf der politischen, produktionellen und konsumenten. oder riskanter gesagt: es kann keine konfliktfreie zone geben zwischen kunst und leben. was eine person bei der wahrnehmung von kunstwerken an zustimmung, ja überwältigung auch empfinden und anderen gegenüber sogar als qualität vertreten mag, der rest eines im tiefsten liegenden, existentiellen wie essentiellen missverständisses, oder noch genauer gesagt: nicht-verstehen-könnens ist unaufhebbar. denken sie bei dieser behauptung nicht an das, was in museen hängt, an festivals gezeigt wird, sich auf bestenlisten drängt oder auch nur eine sternstunde in den medien erlebt – denken sie vielmehr an das, was noch keinen namen hat, schon gar nicht ein label ist, denken sie (sofern man das überhaupt denken kann) an etwas das gerade entsteht - und keinerlei garantie mit sich führt, damit den grossen gewinn abzuwerfen, jetzt oder dereinst in den kulturfahrplan, in die liste national geschützter güter aufgenommen oder als weltkulturerbe deklariert zu werden. denken sie an etwas das heftig schmerzt auch wenn es fast glücklich macht, denken sie an eine unbändige verwirrung, die eine erkenntnis vielleicht erahnen lässt, denken sie an eine kurze ruhe im zentrum des sturms.

dieses postulat zeigt die grenzen von dem auf, was sie als kulturmanagerInnen und uns als künstlerisch tätige menschen verbindet: die unvereinbarkeit. eine unvereinbarkeit, die immer vorhanden ist, aber doch erst dann schmerzhaft sichtbar wird, wenn die gesellschaftliche oder persönliche übereinkunft aufgebrochen wird. also jenes agreement brüchig wird, das letztenendes durch keine richtlinien, keine pflichtenhefte, kein statuten usw. vollständig formuliert werden kann. genau in diesen augenblicken werden sie als eigenständige persönlichkeit und in den funktionsaufgaben ihrer position herausgefordert. genau in diesen momenten müssen sie stellung beziehen – als verantwortlicher einzelner, als verantwortliche einzelne, die politische, ethische, ökonomische und zwischenmenschliche entscheidungen zu treffen hat. genau dann ist, kurz gesagt, ihre integrität gefordert.

meine erfahrungen und beobachtungen haben mir gezeigt, dass früher oder später konflikte auch in einem noch so klugen system, wie es partnerschaftliche übereinkünfte darstellen – von anderen gar nicht zu reden -, immer eintreten müssen, sofern der auftrag über das blosse bewahren und die moderate anerkennung nicht hinausgeht. nicht nur, dass jeder freiraum grundsätzlich auf seine überschreitbarkeit hin ausgetestet wird, man erwartet ja gerade von der künstlerischen seite das neue, das innovative, das freche, das unerhörte. und kann dabei, wird dieser appell auch genutzt, so lange ruhig zuschauen, wie der rahmenkredit nicht überschritten wird, oder das mit dieser kulturaufgabe angepeilte publikum sich auch tatsächlich einstellt. ich muss an dieser stelle jedoch den mechanismus, der einsetzt, sobald der erfolg ausbleibt, nicht weiter schildern.

was ich aber im erleben und zusehen solcher konflikte stets beobachte, ist die verhärtung beider oder aller drei parteien – meine eigene durchaus miteinbezogen. und die kulturmanagerInnen als go-betweens werden dabei, ob sie es wollen oder nicht, zur differenziertesten stellungnahme aufgefordert. halten sie sich eher an den wortteil ‚managerIn’ in ihrer berufsbezeichnung, dann arbeiten sie der politik in die hände, die ja prinzipiell auf dem vereinbarten bestehen muss und der frage nach den inhalten gerne aus dem weg geht. versuchen sie sich aber eher am wortteil ‚kultur’ zu orientieren, dann würden sie vielleicht anwälte des unwägbaren und gerieten mit in den strudel der nicht jederzeit auslotbaren wahrheiten der künste. in solchen fällen sind qualitäten von ihnen gefordert, die sie nur bei und in sich selbst finden können: offenheit, unabhängigkeit, anständigkeit, mut. und als letzte und schwierigste qualität: eine parteinahme für den lebensnotwendigen widerspruch.