pardon, monsieur, wir nennen das hommage
vortrag gehalten am symposion und workshop der cogito foundation zum thema "are there benefits of being copied?" in der universität zürich am 5. februar 2008
meine damen, meine herren,
in diesem kreis von kunst zu sprechen scheint mir ganz einfach: wir lassen alles weg, was zu den kontroversesten diskussionen führen kann, ob etwas als kunst anzusehen ist oder nicht; weiters lassen wir aussen vor was kunst oder kunstwerke wert sind; schliesslich soll es uns auch egal sein, ob sie auf dem freien markt funktionieren oder von wem auch immer sie gefördert, subventioniert, gesponsert, mäzeniert etc. werden. und auch zur gesellschaftlichen frage nach dem schutz der urheber, zur ökonomischen frage nach der verwertung des kunstschaffens kann ich, gerade wegen der dringlichkeit dieser probleme, und auch in der hier gebotenen kürze, nichts beitragen. nur soviel sei gesagt, dass fast immer, wenn über kunst diskutiert, heftig darüber gestritten wird oder sogar die gerichte mit einbezogen werden, letztlich nie das einzelne kunstwerk das eigentliche problem darstellt, sondern dass der profit, das prestige oder zum schlechten ende die persönliche würde verhandelt werden.

der vorteil dieser rigorosen ausgangslage ist, dass wir uns gewissermassen wertfrei den fragen zuwenden können, die sie an dieser tagung interessieren: was hat kopieren innerhalb des kunstbereichs überhaupt für eine bedeutung, gibt es verschiedene arten von kopien eines kunstwerks und was alles könnte noch dazugehören, dass kunstwerke über ihr einzeldasein hinaus an anderen orten und zu anderen zeiten nochmals real oder zitiert auftauchen können und damit aufs neue erlebbar und begreifbar werden.

im hintergrund meiner ausführungen steht das minimum einer kunsttheorie, die sich aus der allgemeinen kommunikationslehre herleiten lässt: es gibt a) in der regel einen realen (kunst)gegenstand – das artefakt, es gibt b) einen künstler oder eine künstlerin, die in diesem gegenstand ihre absichten, überlegungen, ihr können und manch unbewusstes niedergelegt, materialisiert haben und es gibt c) eine person, die mit den ihr eigenen fähigkeiten und erfahrungen das angebot an materieller und geistiger kondensation aufnimmt und versteht. diese dreiteilung spielt immer eine rolle in der wahrnehmung und beurteilung eines kunstwerks, ja im sprechen über kunst schlechthin. und wenn wir uns gedanken machen über das verhältnis von einem original zu dessen kopie, so muss immer bedacht werden, dass der glaube daran oder die täuschung darüber, das vertrauen in seine wie immer geartete wahrheit oder die bestürzung über die aufgedeckte lüge stets auf jeder dieser drei ebenen ihr austragungsfeld haben können.

mit diesen hinweisen hoffe ich, dass sie nun gelassen meinen überlegungen folgen mögen, die sich kreuz und quer in den zeiten, den stilen, den erscheinungsformen und den sehr unterschiedlichen absichten und wirkungen von kunst bewegen.

der heutige begriff der kopie
walter benjamin beginnt sein 1936 geschriebenes traktat ‚das kunstwerk im zeitalter seiner technischen reproduzierbarkeit’ mit der bemerkung: ‚das kunstwerk ist grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen. was menschen gemacht hatten, das konnte immer von menschen nachgemacht werden.’ wir leben inzwischen in einer zeit, in der das kopiergerät eine alltäglichkeit ist, die reproduktionstechniken dank der digitalisierung einen höchststand erreicht haben und selbst beim kopieren von plastischen körpern mittels lasertechnik eine unterscheidung von original und kopie immer schwieriger, wenn nicht sogar verunmöglicht wird. von den grundsätzlich kopierbaren medien wie fotografie, film und video ganz abgesehen. wir können also sagen, dass gewisse kunstwerke nicht nur eine art von massenware geworden sind (denken sie an die grossformatigen nachdrucke, posters, in wohn- und schlafzimmern), sondern in noch ungeahnter weise wiederum zu exquisit vergrösserten, verkleinerten, den wünschen der verbraucher angepassten ‚neu-originalen’ werden können: und damit die echtheit der schöpfung nur noch ein spezialproblem unter vielen anderen darstellt. benjamin nennt dies allerdings einen verlust der aura des originals, ein herausreissen des werks aus seinem einmaligen dasein im hier und jetzt und damit aus seinem geschichtlichen zusammenhang.

zur weiteren überlegung mögen noch zwei sachverhalte angemerkt sein: wir denken wahrscheinlich alle, dass das, was massenhaft vorhanden ist, weniger wert ist als das, was nur ein einziges mal existiert - dass aber andererseits das, was wegen seiner massenhaftigkeit viel mehr menschen gehört oder zumindest zur kenntnis gebracht werden kann, mit sicherheit einen demokratischen (allerdings auch einen konsumistischen) zug aufweist. und dann mag hier noch die kaum zu widerlegende feststellung angebracht sein, das alles, was technisch machbar ist, mit sicherheit auch einmal realisiert wird. egal ob es vernünftig oder überflüssig, hilfreich oder tödlich ist. wie auch immer: der heutige begriff von kopieren hat primär mit vervielfältigung zu tun.

akademische kopierpraxis
wahrscheinlich sind sie auch schon einmal in einem museum einem menschen begegnet, der vor einem meisterwerk der malerei mit staffelei, farbpalette und pinseln ausgerüstet versucht, eine kopie des gewählten bildes herzustellen. diese praxis war in den maleratelier der alten meister und in den frühen akademien durchaus programm. denn das minutiöse, eigenhändige duplizieren erlaubt einen wesentlich intimeren blick auf die besonderheiten der vorlage: es ist ein kopieren als lernvorgang. das nachmalen der meisterwerke gibt eben genauere einblicke in die technischen (untergrund, grundierung, pigmente und binder, pinsel oder spachtel etc.) und ästhetischen problemlösungen (bildaufbau, proportionen, perspektive, farbqualitäten, themen und deren variationen, landschaft und figur etc.). dazu kam, dass aufträge für besonders grosse gemälde (z.b. altarbilder) zuerst vom meister als skizze im kleinformat entworfen wurden, die dann im atelier von den gehilfen, assistenten und meisterschülern und unter aufsicht des malers vergrössert und den besondern bedingungen der platzierung angepasst wurden. es spielt dabei keine rolle, wer mehr oder weniger hand angelegt hat, der genius unterzeichnet das gelungene als sein werk und damit ist es auch sein werk.

an diesem beispiel wird deutlich, dass in einer solchen kopie oder in der tätigkeit des kopierens eine wertschätzung dessen liegt, was kopiert wird und dass wir es dann auch mit einer arbeit zu tun haben, die keinen aufwand gescheut hat, um dem gehalt des originals so nahe wie möglich zu kommen.

die kopie als gewollte täuschung
dieses phänomen ist so alt wie die kunst selbst, und eigentlich interessiert es uns hier nicht besonders. es ist eine eher taschendiebartige spielart der vorher beschriebenen kopierpraxis. aber es ist interessant, in diesem umfeld zwei gedanken nachzuhängen. der erste hat damit zu tun, dass, sofern das produkt geglückt ist, damit überhaupt die gretchenfrage, was ein kunstwerk denn eigentlich ausmacht und warum eine geglückte kopie weniger wesentlich sein sollte, nur höchst widersprüchlich beantwortet werden kann. und das gilt besonders dann, wenn werke entstehen, von denen behauptet wird, es seien bisher unbekannte originalwerke von z.b. dürer, die jedoch gerade erst entdeckt wurden, aber genau die qualität, den geist und die thematik des mittelalterlichen malers authentisch aufweisen. der andere gedanke ist einer, der in der absicht des fälschers den hinweis erblicken kann, dass dieser die eigene leistungsfähigkeit so gross einschätzt wie jene des berühmt gewordenen meisters, womit dann indirekt auch der beweis der relativen unoriginalität des vorbilds geliefert wird (‚eigentlich’ ist man selber der bessere dürer).

die theologische kopierpraxis
im bericht des neuen testaments wischt in der 6. station des kreuzwegs veronika mildtätig das blut und den schweiss vom gesicht jesus von nazareths, woraufhin ein abbild dieses angesichts auf dem schweisstuch zurückbleibt. eine dieser legende entsprechende reliquie wird im petersdom aufbewahrt, und das christusbild des ganzen christlichen abendlandes orientiert sich dermassen an dieser abbildung, dass wir den grundtypus des bärtigen mannes selbst noch in der heutigen sakralen kunst finden können. denn der name dieser barmherzigen frau ist keineswegs ein zufälliger, sondern er ist ein programm: veronika ist nämlich diejenige, die uns das wahre bild (vera icon) übermittelt.

ebenso bedeutungsvoll wird der evangelist lukas auf mittelalterlichen bildern als maler dargestellt. und das deshalb, weil er das erste bild der madonna und der aposteln petrus und paulus gemalt haben soll. die gesamte ikonenmalerei geht auf diesen hinweis zurück. das führte dazu, dass das angeblich noch von lukas eigener hand gemalte erste bild mariens das vorbild für den nächsten meister war, der alles, was er darüber sagen und zeigen konnte, an seine schüler weitergab. vor allem im orthodoxen glaubensbereich war es also die vornehme aufgabe des malers, das in der überlieferung immer noch vorhandene ur-bild so genau wie möglich einzufangen, also recht eigentlich eine meta-physische kopie davon zu erstellen. da diese ikonen damals ohnehin nicht als kunstwerke angesehen wurden, sondern andachtsbilder waren, heilige gegenstände also, war das kopieren neben der handwerklichen noch vielmehr eine geistige tätigkeit, ein glauben an die im bild enthaltenen spirituellen aussagen, ein anbeten sowohl beim herstellen wie beim betrachten der dargestellten person. mit kopieren in unserem sinne, im sinn der beiden zuvor genannten beispiele, hat das gar nichts zu tun. es weist jedoch auf etwas hin, das wir als das eigentliche substrat, die genuine qualität einer kopie bezeichnen wollen: das herstellen von substanz jenseits aller realen formen ihrer darstellung. womit genau genommen jede neue ikone nicht als kopie einer früheren verstanden werden kann, sondern ein wahrhaftiges bild, also ein ‚vera icon’ dessen darstellt, was gültig ist.

in diesem zusammenhang möchte ich kurz darauf eingehen, dass in der geschichte (nicht nur des abendlandes) immer zwei anschauungen vertreten wurden: die eine, die ikonoklastische, die die bilder deshalb zuerstören musste, weil sie meinte, dass im bild das heilige tatsächlich anwesend ist, die darstellung des göttlichen jedoch nicht erlaubt ist; die andere, die bilderverehrende, die einen unterschied machen konnte zwischen dem abzubildenden (christus, maria, die apostel) und dem abbild (der ikone). für sie waren die bilder gewissermassen ausschliesslich hinweise auf das, was damit gezeigt werden sollte. so paradox es klingen mag: gerade die ikonoklasten glaubten den abbildungen, wohingegen die bilderverehr in ihnen zwar durchaus verehrungswürdige gegenstände sahen, nicht aber die essenz des göttlichen in der künstlerischen umsetzung. etwas salopp formuliert könnte man sogar sagen, dass die ikonoklasten die ‚kopie’ grundsätzlich ablehnten, die ikonophilen hingegen immer zwischen kopie und original unterscheiden konnten und damit etwas in gang setzten, dass den wert des abzubildenden originals geringer zu achten begann als die differenzen zwischen ‚kopien’ und kopien von ‚kopien’.

das kopieren als künstlerische auseinandersetzung
die geschichte der modernen malerei kennt das kopieren noch in einer sehr speziellen weise: als beispiel sei pablo picasso genannt, der sich mehrfach mit bildern seiner malerkollegen malend auseinandergesetzt hat. besonders hatte es ihm das bild ‚las meniñas’ von velasquez angetan, das er in über hundert eigenen bildern wiederzugeben sich bemühte. natürlich wird niemand bezweifeln, dass diese beschäftigung originale und typische schöpfungen von picasso ergeben haben, die den hintergrund des älteren spanischen meisters nicht mehr brauchen – in unkenntnis dessen aber dabei einen teil ihres tieferen sinns verlieren. man kann es allerdings auch anders sehen: durch die intensive beschäftigung des ‚jüngeren’ malers wird die bedeutung des ‚alten’ originals erhöht, es wird also wieder in seiner besonderheit wahrgenommen, es wird durch die kunstvolle kopie, die ja nun selber wieder ein kunstwerk ist, angereichert um die wahrnehmungen, assoziationen und die sensibilität des ‚kopisten’. zur diskussion gestellt werden kann damit ein vorgehen, das kopieren eher in die bedeutung von auseinandersetzung rückt.

spielarten der künstlerischen kopie
ich habe aus begreiflichen gründen bisher ausschliesslich von bildender kunst gesprochen: sie ist im allgemeinen bewusstsein vor allen anderen kunstgattungen das spektakulärste schlachtfeld der kopisten. aber auch in der literatur, im sprech- und tanztheater, in der oper, in der ernsten wie in der unterhaltungsmusik und im film sind die kopien, die anverwandlungen von themen und fertigkeiten, von lösungen und erfindungen gang und gäbe. es gibt berühmte und berührende beispiele der fortschreibung einzelner stücke der klassischen griechischen dramenliteratur (als beispiel mag hier ‚antigone’ gelten), es gibt remakes erfolgreicher filme. das zitieren in der musikliteratur gehört sogar zu den besonders gepflegten und geschätzten auseinandersetzungen mit werken älteren komponisten. und in der DJ-praxis ist das scratchen, loopen etc. von ausschnitten aus musiktiteln vergötterter stars durchaus ein künstlerisches programm. im strengen wortsinn sind das vielleicht keine kopien, aber sie kommen dem sinn dieses begriffs doch nahe: denn was anderes soll in der kopie (und hier füge ich noch eine ganze liste von spielarten des kopierens an: die paraphrase, die variation, das zitat, die interpretation, auch mit ihren bösartigen ausformungen wie die parodie, die travestie etc.), was anderes also soll selbst in einer miesen kopie denn zum vorschein kommen, als die anerkennung der früheren künstlerischen leistungen, die bewunderung für die treffsicherheit und die reichhaltigkeit der aussagen, das fortschreiben einer geschichte der menschlichen beschäftigung mit den komplexen problemen des lebens und des todes.

ohne das offensichtliche oder imaginäre kopieren wäre die geschichte der kunst wesentlich ärmer, wäre wahrscheinlich sogar die geschichte der menschheit anders verlaufen. und so meine ich, dass das qualitätsbewusste kopieren am ehesten einer aussage entspricht, die der schweizer filmregisseur jean-luc godard einmal dem amerikanischen filmregisseur samuel fuller gegenüber getan hat. als dieser nach der besichtigung des films ‚à bout de souffle’ bemerkte, dass der junge regisseur eine berühmte einstellung seines vorbild nachgeahmt hatte und zu ihm sagte: ‚bei uns in den USA wären sie wegen plagiats vor gericht gestellt worden’, antwortete godard mit dem klugen und tröstlichen satz: ‚pardon, monsieur, wir in frankreich nennen das hommage’.