das kunstwerk wirkt in der einzelnen person
ich möchte heute von diesem titel, diesem satz ausgehend, ein paar überlegungen zum problem der vermittlung anstellen, weil sie für die arbeit von GNOM, aber auch für meine eigene tätigkeit von einigem belang sind.

bei der konfrontation mit dem kunstwerk haben wir es mit der tatsache zu tun, dass jeder kunst betrachtende mensch mehr oder weniger bewusst unterscheiden kann zwischen dem schöpfer des werks (der künstlerin), dem kunstgegenstand selbst und der wirkung, die es bei ihm, im konsumenten, in der betrachterin auslöst. das letztere, also die wirkung im einzelnen, kann radikal gedacht werden als das, worin sich das kunstwerk überhaupt erst verwirklicht, als jener moment, in dem die künstlerische schöpfung gewissermassen erlöst und eigentlich auch weitergeführt wird. kunstformen wie literatur, malerei, der film etc., sind in unterschiedlichsten materialien und medien konkretisierte kunstabsichten; bei musikalischen, theatralischen, konzeptionellen vorgaben entsteht das werk erst als (sich mit der zeit verflüchtigender) gegenstand dank der durch interpretInnen erfolgten realisierung der in den notationen vorgegebenen anweisungen.

vermittlung ist (1.) hier also im sinne von ‚interpretation’ vorwiegend technisch zu verstehen: jemand kann das, was es braucht, um das werk zum gegenstand der sinnlichen wahrnehmung zu machen [cello-spielen als aktuelles beispiel]. (dass die interpretin natürlich nicht ohne klärung dessen, was noch neben dem notentext vorliegt, arbeiten kann, versteht sich, aber dieser vorgang gehört mindestens teilweise in die nächste ausführung zum begriff der interpretation.)/p>

in seiner hauptsächlich gebrauchten bedeutung heisst (2.) vermittelnde interpretation aber die frage nach den hintergründen, quellen und nach dem umfeld, nach den geschichtlichen und persönlichen seiten des werks, ein vorgang also, der die im kunstwerk gewissermassen konzentrierte absicht und erfahrung des künstlers wieder öffnet, verfeinert und erweitert, um eine dem rang des werks angemessene erkenntnis zu gewinnen. (dass damit auch ein weg zum publikum beschritten wird, gehört zumindest teilweise wiederum in die nächste ausführung des begriffs.) und schliesslich kann interpretation (3.) auch als synonym für vermittlung gebraucht werden, jene tätigkeit also, die das verständnis, die zustimmung, die begeisterung und schliesslich den erfolg des kunstwerks befördert. und in diesen bezugsrahmen vor allem werde ich die folgenden behauptungen aufstellen.

behauptung 1
- das kunstwerk braucht vermittlung
erfreulicher weise ist es üblich geworden einführungen, führungen, workshops, vorträge etc. zu einem kunstwerk (oder zu mehreren, aber das spielt für den gedankengang hier keine rolle) zu veranstalten, um dem publikum ein erstes verständnis für ein werk zu ermöglichen, oder die wahrnehmungsfähigkeit für die besondere erscheinungsweise eines werks zu verbessern. und dass sich leute zu solchen einübungen einfinden heisst ja nichts anderes, als dass ein primäres interesse schon vorhanden ist, oder zumindest neugierde oder eine form der bildungsabsicht zu diesem schritt verholfen hat. die vermittler (interpreten also im 3. sinn) werden selbstverständlich davon ausgehen müssen, wen sie vor sich haben: kinder, jugendliche, ein gemischtes oder sogar ein akademisches publikum. die erklärungen zum werk werden entsprechend dieser vorgabe äusserst verschieden ausfallen – aber jedes mal wird das ziel sein müssen, genau im rahmen der aufnahmefähigkeit des auditoriums dem werk das beizugesellen, was nachher im ‚genuss’, in der apperzeption, im konsum zu einem individuellen, selbständigen erleben führen kann. was vermieden werden muss ist (und dafür finden sie beispiele genug in programmheftbeiträge, merken sie an den fragen in einem werkstattgespräch), dass das werk nur punktuell beleuchtet wird, der womöglich grössere rest aber im schatten bleibt, oder was noch schlimmer ist: es scheint gar keinen rest mehr zu geben. das selbständige erleben eines werks ist in diesem fall dem aha-effekt gewichen, wobei alle beteiligten das gefühl haben, sich und der sache gedient zu haben. also, um die erste behauptung nochmals zu zitieren und zu ergänzen: das kunstwerk bedarf selbstverständlich der vermittlung, aber es braucht keine verniedlichung. dann lieber das werk in seiner ganzen befremdlichen wucht auf herz, hirn und seele einschmettern lassen. auch das kann übrigens eine taktik der vermittlung sein.

behauptung 2
- die vermittlerarbeit muss auf die gegebenheiten des umfelds reagieren (angebote, partner, medien etc.), bekämpft jedoch die resignierende anpassung durch überlegungen zu einer grundsätzlich verbesserbaren situation
neben der vermittlerarbeit am einzelnen konsumierenden, an einem publikum, kann jener teil der arbeit, die die potentiell interessierten, neugierigen oder bildungshungrigen überhaupt erst zum anlass bringt, nicht ohne entsprechende partner im öffentlichen raum gelingen. also müssen die lehrerInnen, die eltern, die freunde, die werbung, die presse, die medien etc. in den prozess miteinbezogen werden. was die resignation betrifft: es fehlt meist das geld für die aufwändige werbung, ist oft die bereitschaft in den schulen, über den regelplan hinaus entsprechend arbeitsintensive vorbereitungen zu gestalten gering und die presse stöhnt prophylaktisch wegen der vielen anlässe, der heterogenität der angebote und der eigenen mangelnden fachkompetenz bei immer kleiner werdendem platzangebot. das gilt auch für diverse andere ‚kommunikationsmedien’. die veranstalter müssen auf diese unleugbar permanent schlechte situation mit tapferer phantasie reagieren, also am einen ort knausrig, zu einer anderen zeit verschwenderisch die mittel einsetzen, mit list frech auftreten und unnachgiebig in den plänen sein, was auf welche weise verbessert werden kann und inwiefern manches sogar geändert werden muss. die 2. behauptung variierend heisst das, sich zuerst einmal selber anstrengen (was inhinblick auf diese veranstaltung heute als, zumindest für den augenblick, erfüllt betrachtet werden kann), dann offen für und reaktionsschnell auf die regungen der kulturellen umgebung sein und mit guter miene zum bösen spiel alles abwehren, was gerne hilfreich als angeblich sichere mittel zum erfolg angeboten werden: gefälligkeit, publikumswirksamkeit, bunte mischungen, eventcharakter etc.. adjektive wie super, geil, cool und mega sind mit sicherheit die wegweiser in die falsche richtung.

behauptung 3
- jeder anlass zeigt mit seinem profil die absichten der veranstalter, aber nützt die nestwärme der umgebung (was orte und publikum betrifft)
die art und weise der programme, die abfolge der stücke im konzert (die hängung der bilder im museum etc.) sind auf einer übergreifenden stufe auch vermittlungshilfen - angebote, in welchen zusammenhängen das einzelne kunstwerk besser zu verstehen ist oder überraschend erhellt werden kann. man kann ruhig von einer dramaturgie der anlässe sprechen und dazu gehört auch, dem bereits zugewandten oder sich zuneigenden publikum vertrauen in die seriöse, und dennoch leidenschaftliche planung zu ermöglichen. durch die wahl der veranstaltungsorte kann die kontinuität betont werden, oder aber das abenteuerliche vortasten in unbekanntere bereiche. durch bezüge auf andere veranstaltungen (das mögen konkurrenzen sein, das können ergänzungen zu ähnlichen ausrichtungen sein) wird durch die besondere vermittlung einzelner kunstwerke eine kulturlandschaft in der und für die gegenwart geschaffen. der anspruch dabei ist nicht originalität, sondern das ziel dieser vermittlung ist nichts weniger als die aufforderung zur zeitgenossenschaft.

behauptung 4
- die arbeit in einer definierten kulturlandschaft folgt den eigengesetzlichkeiten des hier und jetzt im organisatorisch und finanziell möglichen, auch wenn sie sich am massstab der zentren orientiert.
wenn man, wie GNOM, etwa soviel öffentliche unterstützung im jahr erhält, wie pro abend in der oper allein für den dirigenten ausgegeben wird, kann man zwar anerkennend und schulterklopfend ein ‚denke utopisch, handle realistisch’ in die runde werfen, aber es braucht fast keine phantasie, sich das stücklein rinde vom grossen brot vorzustellen, das diese relation freundlich aber notdürftig kaschiert. das ist keine klage zur situation einer schlechten verteilung – sondern ein konkreter blick auf die gestalterischen wünsche und die möglichkeit von deren verwirklichung. denn jeder besucher (vor allem aber jener, der immer nur potentiell, also nie kommt), weiss was ‚in’ ist, und erwartet in qualität und originalität und attraktivität überall und jederzeit das beste vom besten. da kann und will man als veranstalter nicht mithalten, sucht seine eigenen wege, erarbeitet sich netzwerke und hält sich vor allem drastisch jede gönnerhafte zustimmung vom leib. was hier und jetzt geschehen soll, ja geschehen muss, ist die realisation des kunstwerks als einmaligkeit. in diesem sinne kann die vorher aufgestellte behauptung auch so formuliert werden: die programmarbeit muss radikal in ihrem kompetenzbereich sein, aber offen für die präsentationen im engeren und weiteren umfeld ihres kulturkreises und dessen angeboten.
zum abschluss dieser gedankenkette wiederhole ich nochmals den titel meiner kurzen überlegungen und formuliere ihn ebenfalls als behauptung: mit dem ziel freilich, die funktion der vermittlerarbeit gedanklich auf die spitze zu treiben.

behauptung 5
- das kunstwerk wirkt in der einzelnen person oder gar nicht
wenn die interpreten aller drei kategorien darauf hinwirken, dass zumindest ein mensch – aber natürlich auch nicht niemand – vom vorgeführten kunstwerk gerührt, betroffen, nachdenklich, zerschmettert, wütend oder glücklich gemacht wird, dann spielt es keine rolle mehr, wieviele besucher einer veranstaltung insgesamt beigewohnt haben. der rest ist statistik.

gehalten an der GNOMveranstaltung am 16.3.2007